Spiritualität

„Wollen wir Macht oder Freiheit? Das ist die entscheidende Frage.“

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Kaivalya Kashyap hat nach einer transformativen Begegnung mit einem Arzt in Indien eine Akademie für Führungskräfte gegründet. Sein Ziel: Entscheider zu beeinflussen, um eine bessere Menschheit auf den Weg zu bringen. Es gibt keine Alternative, sagt er.

Von
Gabriel Diakowski
Foto:
Kaivalya Kashyap


Die „International Academy of Transformative Leadership“ (IATL) mit Sitz in Winterthur in der Schweiz bietet Führungskräften nicht nur Zertifikatslehrgänge zum Transformative Leadership MBA – alle Lehrgänge (Coach, Mentor, Master) sind zertifiziert und entsprechen dem ECTS-Standard – sondern vor allem geführte Erfahrungsräume zur persönlichen Transformation. Über 250 Menschen wirken im europäischen Netzwerk der Akademie mittlerweile zusammen, um ihre Vision einer ethischen Gemeinschaft wahr zu machen.


Kaivalya Kashyap, du bildest Führungskräfte zu transformativen Führungskräften aus. Was bedeutet Transformation für dich?

Transformation bedeutet für mich, die beste Version von sich selbst zu entwickeln.

Du verhilfst Führungskräften zu ihrer besten Version?

Ich würde noch eins weitergehen und sagen, dass wir Führungskräften dabei helfen, ihre eigene Natur zu leben. Ich spreche aus Erfahrung. Ich habe selbst jahrzehntelang gegen meine Natur gelebt und war unglücklich und unerfüllt. Ich gebe weiter, was ich selbst an mir erlebt und gelernt habe.

Was hast du erlebt oder gelernt?

Ich war ein durchgetakteter Unternehmer und habe ein Unternehmen nach dem anderen gegründet. Es ging immer um Geld und Erfolg. Bis ich eines Tages gemerkt habe, dass ich mich selbst nicht liebe. „Wie ist das möglich?“, habe ich mich gefragt. Ich bin der Sache auf die Spur und mit dem Rucksack auf die Suche, habe Japan und Indien bereist. In Indien kam es zu einer Begegnung mit dem Arzt, Humanmediziner und Sozialreformer Maitreya Dadashreeji. Sie hat mein Leben verändert. Daraufhin habe ich beschlossen, mich selbst in die Transformation zu begeben und der Energie, die mich in dieser Begegnung überwältigt hat, zu folgen und sie in den Westen zu bringen.

Wo stehst du heute?

Heute sind wir über 250 Leute in Europa, die zusammenarbeiten. Wir sind eine Kraft aus Menschen, die sagen: „Hey, das ist nicht die Welt, wie ich sie mir vorstelle.“ Und wir haben recht, denn die Welt ist das, was wir erschaffen.

Woran erkenne ich, die beste Version von mir zu entwickeln?

An deiner Geduld und deiner Fähigkeit, dich selbst und die Situation, in der du dich befindest, zu akzeptieren. Je bescheidener, demütiger und dankbarer man wird, desto weiter ist man in seiner persönlichen Transformation.

Hat eure Methodologie Wurzeln in einer bestimmten Lehre oder Denktradition?

Gewisse Prozesse, die wir anbieten, basieren in ihrem Design auf der Philosophie der Veden, unter anderem auf der Philosophie unserer Wahrnehmung in den Upanishaden. Wir arbeiten auch mit Atem- und Meditationstechniken. Aber am Ende gestalten wir unsere Inhalte und Ausbildungen immer businessorientiert und docken bei realen Bedürfnissen in der Wirtschaft an.

Was ist in Transformationsprozessen das größte Problem? Fehlendes Transformationswissen scheint nicht das Problem zu sein, man muss nur ein paar Texte im Internet lesen.

Das Problem ist, dass wir keine Erfahrungen mit Transformation haben. Wir mögen viel darüber wissen, aber das nützt nichts. Videos schauen und Bücher lesen mag sehr interessant sein, aber eine Erfahrung macht man erst, wenn das Herz offen ist. Du kannst mit dem Verstand keine Erfahrung machen. Auch deshalb, weil Wissen immer vergangene Herausforderungen reflektiert und repräsentiert. Wir sind hier und jetzt aber immer auf dem Weg in einen neuen Zustand. Das Wichtigste im Prozess einer Transformation ist die emotionale Verbindung. Deshalb schaffen wir in unseren Ausbildungen Erfahrungsräume und haben eine eigene Methodologie entwickelt, um Menschen in und durch diese Erfahrung der Transformation zu begleiten.


(Foto: „Der Verstand kann keine Erfahrungen machen, es ist das Herz." Erstellt mit DALL-E von OpenAI)



Welche Rolle spielt Spiritualität bei der Transformation eines Menschen?

Spiritualität wird als Wort leider oft missbraucht, aber sie ist bei jeder Transformation essentiell. Für mich persönlich bedeutet Spiritualität die Sicht nach innen. Es ist ein nach innen Schauen, nach innen Klären und im Innen Aufräumen. Meine Spiritualität bringt mir bei, mit herausfordernden Situationen umzugehen, daraus zu lernen, zu wachsen und mutig zu sein. Darin besteht auch unsere Methodik: Wir ermöglichen Menschen die Erfahrung, ihr Wesen von innen nach außen zu beeinflussen.

Ist eine Transformation in deinem Sinne ohne Spiritualität überhaupt möglich?

Nein, ich bin überzeugt davon, dass das nicht möglich ist. Deshalb haben wir unsere Stiftung auch bewusst „International Spiritual Council for Transforming Humanity“ genannt.

Was für Menschen kommen zu dir?

Die Menschen, die zu mir kommen, verstehen, dass sie auf dem Weg der Transformation keine Bedingungen stellen können. Du kannst deine Transformation nicht verhandeln und keine Bedingungen für deinen Weg stellen. Du musst voll und ganz dazu bereit sein, dich auf dich selbst einzulassen. Am Ende dreht sich alles um die eine entscheidende Frage: „Willst du Macht oder willst du Freiheit?“ Wenn du Freiheit willst, musst du aufhören, Bedingungen zu stellen.

Wir sprechen von persönlichen Transformationen. Wie ist es mit Transformationen in und von Unternehmen und Organisationen?

Sie sind natürlich komplexer, aber genauso wie du als Individuum ein höheres und wahres Selbst hast, haben auch Organisationen und Unternehmen ein höheres Selbst. Es hat nichts mit dem Leitbild, der Vision oder der Mission zu tun. Es geht viel tiefer. Es geht um die Schwingung.

Riskiert man bei so tiefgründigen Interventionen nicht, Leute in einer Organisation zu verlieren, weil sie im Prozess erkennen, dass sie in ihrer Rolle gar nicht sie selbst sind?

Wäre das nicht was Gutes? Wir müssen entscheiden, ob wir Macht über andere wollen oder ob wir Freiheit wollen. Noch einmal: Das ist die entscheidende Frage. Wenn jemand nicht möchte, dass die Organisation sich verändert oder dass Mitarbeiter sich verändern, dann befindet er oder sie sich in einer Machtsituation. Wenn ich meine Leute als Führungskraft aber fördern will, sodass sie zur besten Version ihrer selbst werden können, dann schafft das eine ganz andere Energie.


(Foto: „Wollen wir Macht oder Freiheit? Das ist die entscheidende Frage." Erstellt mit DALL-E von OpenAI)



Wie schätzt du die aktuelle wirtschaftliche und gesellschaftliche Lage ein? Was erwartet uns im Kontext der Machtverschiebungen aus dem Westen in den Osten?

In meiner Wahrnehmung handelt es sich nicht um eine Machtverschiebung aus dem Westen in den Osten, sondern aus dem Außen nach innen. In diesem Sinne finde ich, dass die Bedingungen zurzeit hervorragend sind, weil viele Menschen nicht nur nach Neuem, sondern vor allem an der richtigen Stelle suchen. Natürlich wird ein Teil der Menschheit am Status quo festhalten. Aber ich sehe Parallelen in die Physik. Neues entsteht immer aus dem Chaos und braucht ganz bestimmte Energien und Vibrationen. Deshalb sind auch Diskussion und Vernetzung sehr wichtig, weil sie das Neue vorbereiten.

Ich verstehe den Wunsch nach Frieden und Gemeinschaft, aber kurz- und mittelfristig bin ich nicht so optimistisch wie du.

Ich weiß, was du meinst. Die Welt da draußen ist keine einfache. Wir haben nichts aus der Finanzkrise ab 2007 gelernt, unzählige „World Climate Summits“ und andere Konferenzen erlebt, die nichts verändert haben. Alles nur Kosmetik. Wir sprechen davon, dass der Sprung vom Dieselauto zu einem E-Auto eine Transformation ist – ist er aber nicht.

Was siehst du auf uns in Europa zukommen?

Ich glaube, dass uns noch große Herausforderungen in der Flüchtlingsfrage bevorstehen. Auch die Nahrungsmittelpreise werden meiner Ansicht nach weiter steigen, was zu Protesten und Bürgerrevolten in Europa führen könnte. Im schlimmsten Fall erwarten uns weitere kriegerische Konflikte, ich bin da nicht blauäugig. Aber all das darf uns nicht davon abbringen, an die menschliche Gemeinschaft zu glauben und an ihrer Einheit zu arbeiten. Wir müssen ans Positive glauben, denn gemeinsam können wir es erschaffen.

Glaubst du an das Heilsversprechen des technologischen Fortschrittes

Natürlich will man uns glauben machen, dass unsere Technologien fantastisch sind. Und ja, wir sind auf dem Weg, dass uns Technologien in unserer Menschlichkeit, unseren menschlichen Werten und unserer menschlichen Ethik unterstützen, aber teilweise verkaufen wir unsere Ethik und unsere Werte auch noch. Schau, was gerade in den USA passiert ist: Tech-Milliardäre werfen ihre Werte über Nacht über den Haufen und gehen vor einem neuen Präsidenten in die Knie. Aus meiner Sicht ist das ein Kindergarten.

Du bleibst trotzdem positiv?

Ich habe das Glück, durch meine Tätigkeit mit vielen Leadern in dieser Welt zu sprechen, die Verantwortung für Unternehmen und für die Gesellschaft tragen. Viele von ihnen reden genau so klar über die Dinge wie du und ich jetzt gerade. Wir sind viele mehr, als wir glauben. Wir haben bloß ein System geschaffen, das uns limitiert.

Was wäre dieses Positive?

Ich habe die Stiftung in Genf gegründet, um Führungskräfte aus aller Welt zusammenzubringen. Wir wollen beispielsweise demnächst eine Friedenskonferenz in Wien veranstalten. Es gibt eine Lösung gegen Fanatismus und Radikalismus, diese Lösung sind „wir“.

Wie bindest du Spiritualität in deinen Alltag ein?

Ich bereite mich wie ein Sportler auf meinen Tag vor und beginne den Tag in der Stille, manchmal im Rahmen einer Meditation, eines Gebetes oder beim Mantra-Chanten; gerne aber auch beim Yoga oder Sport. Ich schwimme gerne und im Winter gehe ich mit meiner Frau eisbaden. Ich schaue, worauf ich Lust habe und achte darauf, dass es mir gut geht. 

Kaivalya Kashyap, vielen Dank für das Interview.