Ludovit Garzik: "In Österreich fehlt das Bewusstsein für Innovationsökosysteme."
18 Jahre lang führte er die Geschäfte des Rates für Forschung und Technologie-entwicklung der Bundesregierung in Wien. Nun konzentriert er sich auf die Weiter-bildung von Manager:innen. Zu tun ist genug, Österreich steckt tief in der Rezession.

Ludovit Garzik, wir erleben in Österreich gerade einen tiefen politischen Umbruch. Wird er Auswirkungen auf die Transformation der Wirtschaft haben?
Das glaube ich nicht, denn das Transformationsgeschehen in der Wirtschaft wird vom Management in den Organisationen bestimmt. Aber es wird sich einiges in der Wahrnehmung von Österreich ändern und das könnte die Standortattraktivität Österreichs mindern.
Sie kennen die österreichische Parteiszene sehr gut: Ist die FPÖ eine innovations-freundliche Partei?
Die gesamte Parteienlandschaft in Österreich ist grundsätzlich forschungs- und innovations-freundlich, das haben wir in den letzten 40 Jahren gesehen. Die Forschungsausgaben sind seit Beginn der 1980er-Jahre gestiegen, egal in welcher Regierungskonstellation, und Konstellationen haben wir inzwischen alle möglichen erlebt.
Sie haben eine Akademie zur Weiterbildung von Manager:innen in Innovations-ökosystemen gegründet. Wie steht es um das Innovationsökosystem Österreich?
In Österreich fehlt uns das Bewusstsein dafür, dass Innovationen in Ökosystemen entstehen. Wir denken nicht vernetzt genug. Innovationsökosysteme funktionieren ähnlich wie biolo-gische Ökosysteme. Es müssen viele unterschiedliche Parameter einbezogen werden, um als Organisation fruchtbar und innovativ sein zu können. Humankapital und Infrastruktur sind als Parameter relativ bekannt, aber sie reichen bei weitem nicht aus. Es sind auch Toleranz, interkulturelles Denken oder die Offenheit nötig, neue Produkte auszuprobieren und Feedback zu geben. Darüber hinaus werden Service-Dienstleister wie Anwälte, Patent-anwälte oder Steuerberater gebraucht, denn sie spielen in der Umsetzung eine wichtige Rolle. Diese Parameter sind Voraussetzungen dafür, dass sich Innovationsökosysteme bilden können. Sie fehlen in Österreich.
Wie bringt man Top-Manager:innen dazu, offener und toleranter zu sein?
Man lädt sie dazu ein, sich selbst kennenzulernen. Führungskräfte,
die sich und ihr Denken nicht reflektieren oder wenig Bezug zu ihrem Innenleben haben, können andere Menschen nicht inspirieren. Sie haben Kommunikationsdefizite und führen meist nach technokratischen Modellen. Das wird von anderen oft als Stupsen und Stoßen empfunden und bewirkt am Ende genau das Gegenteil. Mangelnde Offenheit und Toleranz kommen aus mangelnder Selbstkenntnis – und mangelnde Selbstkenntnis erzeugt immer Kommunikationsprobleme.
Sie sprechen mangelnde Selbstkenntnis an. Fehlt es Manager:innen in Österreich an psychologischer Bildung?
Es hat auf jeden Fall mit Psychologie zu tun, aber man muss da gar nicht in die Tiefe. Im Englischen gibt es den Begriff „Mindfulness“. Damit ist gemeint zu wissen, wie man tickt, wie man sich präsentiert und wie man kommuniziert. Das sind Fähigkeiten, die man lernen und üben kann.
(Foto: „Manager:innen, die keine Beziehung zu ihrem Innenleben haben, können nicht inspirieren." Erstellt mit DALL-E von OpenAI

Können Sie „Mindfulness“ näher erklären?
Ein wesentlicher Punkt von Mindfulness ist es, zwischen negativen und positiven Vibes zu unterscheiden. Wir haben in unserer Gesellschaft leider sehr viele negative Vibes, die von Neid, Schadenfreude oder Aggression erzeugt werden. Mindfulness bedeutet, diese negativen Vibes zwar zu registrieren, aber nicht auf sie zu reagieren. Stattdessen konzen-triert man sich auf positive Vibes, die Freude und Spaß ausstrahlen. Sie sind es, die für Inspiration sorgen und positive Führungskraft verleihen.
Top-Manager:innen in Österreich sind nicht „mindful“ genug?
Nein, wir haben in Sachen Kommunikationsfähigkeiten definitiv ein Defizit in unserem Bildungssystem. Es betrifft nicht nur die eigene Kommunikation, sondern auch die Fähigkeit, die Kommunikation anderer Menschen zu lesen und zu spüren. Die meisten Menschen im Top-Management können die Vibes ihres Teams nicht wahrnehmen und deshalb auch nicht erfolgreich und inspirierend kommunizieren. Das wird ihnen besonders in Transformations-prozessen zum Verhängnis, weil das Positive an der Transformation nicht vermittelt und daher auch von niemandem nachempfunden werden kann.
Führung ist also eine Frage der richtigen Kommunikation?
Nicht nur, aber sie beeinflusst die Qualität der Führung sehr. Entscheidend ist eben auch die Frage, wie gut sich eine Führungskraft selbst kennt. Menschen, die sich selbst gut kennen, stecken mit ihrer Art an. Sie prägen das Mindset und die Kultur der Organisation und motivieren dazu, innovativer zu denken.
Lasten Sie Führungskräften damit nicht zu viel auf?
Nein, das denke ich nicht. Wir Menschen brauchen und wünschen uns Führung, so sind wir archaisch programmiert. In Tribes organisiert, noch im Wald lebend, waren wir auf Führungs-kräfte angewiesen, die klar kommunizieren konnten, ob noch ausreichend Essen da ist, ob wilde Tiere angreifen, ob zu fliehen oder zu kämpfen ist. Wir sind es gewohnt, uns an unseren Führungskräften zu orientieren, das steckt tief in unserem Gehirn. Dieses archaische Erbe bewegt uns auch als Gesellschaft, wie wir an unseren Wahlergebnissen sehen können. In vielen Unternehmen, Universitäten und Institutionen wird diese Form der Führung nicht geboten.
Wenn es um Innovationsfähigkeit geht, schauen wir am liebsten ins Silicon Valley. Können die Amerikaner besser kommunizieren als wir?
Ja, die Amerikaner lernen schon im Bildungssystem, mehr aus sich herauszugehen. Etwas zu präsentieren, zu verkaufen und Feedback einzuholen. Wir in Europa neigen dazu, uns abzu-schotten. Das beginnt schon in der Schule, wenn man den anderen nicht abschreiben lassen will, damit er keinen Vorteil hat – auch wenn sein Abschreiben uns selbst ja gar keinen Nachteil bringt. Dieses Gefühl, sich abschotten zu müssen, ist europäisch und verhindert Zusammenarbeit.
Sind die Amerikaner kooperativer?
Ja, kooperativer und offener. Die haben ein offeneres und toleranteres Mindset, wobei wir nicht pauschal von Amerikanern sprechen können. Manche Regionen in den USA sind erfolgreicher, andere weniger. Das ist in Europa nicht anders. Unsere nordischen Staaten sind sehr innovativ, die Schweiz beispielsweise auch.
(Foto: „Innovationen können nur in Ökosystemen entstehen, die wie biologische Ökosysteme funktionieren.“ Erstellt mit DALL-E von OpenAI)

Machen Sie sich Sorgen um Europa?
Nein, Europa hat über 500 Millionen Einwohner, wir sind mehr als die Amerikaner. In seinem Vortrag über Video beim Weltwirtschaftsforum in Davos meinte Trump, wir Europäer wären so unfair. Was meint er denn damit? Er spielt darauf an, dass wir in Europa genau wissen, dass die Autos, die wir bauen, gut sind. Er spricht unser Selbstbewusstsein an und wir täten gut daran, es jetzt stärker zu zeigen. Wir haben viel Potential und meiner Meinung nach immer noch das bessere Bildungssystem als die USA oder China. Denken wir an die Leute, die im Silicon Valley künstliche Intelligenz entwickeln. Sie kommen aus Deutschland, Albanien, Polen und vielen anderen Ländern Europas. Leider setzen sie ihr Wissen in den USA um, weil wir ihnen nicht den nötigen Rahmen und die nötige Inspiration bieten können, um es bei uns zu tun. Wir haben Schwierigkeiten damit, attraktive Innovationsökosysteme aufzubauen und unser Potential in den Markt zu setzen. Daran müssen wir arbeiten.
Mit Trump, Musk und der amerikanischen Tech-Elite kommen viele Transhumanisten an die Macht. Was halten Sie vom Transhumanismus?
Ich teile die Geschichte der Transhumanisten, solange Technologie Lebensumstände verbessert. Aber unsere Zukunft müssen wir schon selbst gestalten. Ich halte nichts davon, das Maschinen zu überlassen.
Was für eine Geschichte braucht Europa?
Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, haben sich seit Beginn der Menschheits-geschichte nicht verändert. Es geht immer um physische und Umweltbedürfnisse. Ich habe zwar viele Jahre in der Space-Industrie gearbeitet, aber ich glaube nicht, dass wir andere Planeten urbar machen werden. Wir haben nur diesen einen. David Attenborough hat richtigerweise bemerkt, dass es nur eine einzige Lebensperiode gedauert hat, um zu verstehen, wie schnell dieser Planet in die Knie geht. Wir brauchen eine Geschichte von der Diversität von Fauna, Flora und Menschheit, in der wir uns positiv
und mit Freude mit den Grenzen unseres Planeten arrangieren.
Also spielt Europas Zukunft auf der Erde und nicht am Mars?
Meine Version unserer Zukunft spielt definitiv auf der Erde.
Ludovit Garzik, vielen Dank für das Interview.