Wie "Psychics" Transformationsprozesse in Organisationen gelingen lassen
Die meisten Transformationsprozesse scheitern, weil wir uns das Level nach der Transformation noch nicht vorstellen können, sagt Peter Matthies. Wie sie trotzdem gelingen? Mit Hilfe von Menschen, die eine Verbindung zu höheren Levels haben.

Peter Matthies begann seine berufliche Laufbahn bei Andersen Consulting, dem
heutigen Accenture in Deutschland. Danach gründete er ein IT-Unternehmen, war
bei führenden Private-Equity- und Venture-Capital-Firmen als Risikokapitalgeber tätig. Seine vielfältigen Erfahrungen führten zur Gründung des „Conscious Business Institute“ mit Sitz in Santa Barbara in Kalifornien und Dependancen in Paris und New York. Seit über 20 Jahren berät und begleitet er weltweit Führungskräfte und Organisationen.
Hier erklärt der ausgewanderte Pionier, warum die meisten Transformationsprozesse scheitern und welche Rolle Psychics spielen können, um den Sprung aufs nächste Level zu schaffen.
Petr Matthies, Sie werden bestimmt mitbekommen haben, dass die meisten Transformationsprozesse in Österreich und Deutschland scheitern. Wir stecken tief in der Krise.
Was läuft da schief?
Ich glaube, dass viele Menschen Change und Veränderung mit Transformation verwechseln. Transformation bedeutet, aus einem bestehenden System auszubrechen
und ein neues System zu entdecken. Dieser Aufbruch in ein neues System macht sich als Bewusstseins-wandel bemerkbar. Wenn ich also beispielsweise in der Automobilindustrie entscheide, nicht mehr selbst zu produzieren, sondern die Produktion auszulagern oder mit einem anderen Material zu bauen, dann ist das eine Veränderung oder ein Change, aber noch keine Transformation. Die meisten Transformationsprozesse scheitern, weil die Menschen in Organisationen im selben Bewusstsein bleiben.
Erklären Sie das mit dem Bewusstseinswandel bitte näher.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Kopernikus hat zu seiner Zeit verkündet, dass die Erde rund und nicht flach sei. Das war ein einfacher Gedanke, aber er kam aus einem neuen Bewusstsein. Bis dahin dachten alle, die Erde sei flach und man müsse nach Osten segeln, um nach Indien zu kommen. Niemand wäre in den Westen gesegelt. Doch im neuen Bewusstsein öffnete sich mit einem Mal der Weg nach Westen – und plötzlich war Amerika entdeckt. Mit der Ent-deckung Amerikas brach ein neues Zeitalter an. Dasselbe erleben wir jetzt gerade. Wir erleben den Übergang in ein neues Bewusstsein, in dem sich neue Wege öffnen werden und diese Wege führen in eine Welt, die wir uns heute noch nicht vorstellen können.
Was meinen Sie mit neuem Zeitalter?
Wir erleben gerade eine Welt im Umbruch. Dieser Umbruch ist Teil eines evolutionären Prozesses, in dem wir uns aus dem Zeitalter der Renaissance, der Aufklärung, der Industrialisierung oder zuletzt des Informationszeitalters herausentwickelt haben. Heute stehen wir am Beginn eines neuen Zeitalters, dem Zeitalter des Bewusstseins. Wir sehen Strömungen wie „Conscious Education“, „Conscious Living“, „Conscious Medicine“ oder „Conscious Eating“. Sie sind Schauplätze einer Transformation, aus der in den nächsten Jahren eine neue Welt entstehen wird.
Ich befürchte, dass Sie viele Menschen nicht verstehen. Für die meisten von uns heißt Business einfach „Geld verdienen“. Also: Arbeit, Arbeit, Arbeit, um ein schönes Leben zu haben. Wozu ein neues Bewusstsein?
Die Frage ist, ob wir wirklich ein schönes Leben haben? Statistiken zeigen, dass 70 bis
80 Prozent der Menschen keine Lust haben, da zu arbeiten, wo sie arbeiten. Die Zahl der Burnouts steigt, auf der persönlichen Ebene fehlt es an Zufriedenheit und Purpose. So gut wie jedes Unternehmen denkt darüber nach, wie es sich transformieren kann, und die meisten Unternehmen, mit denen wir sprechen, haben keine Ahnung, wie sie die Trans-formationen systematisch umsetzen. Auf globaler Ebene entflammen laufend neue Konflikte um Macht und Einfluss. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft immer weiter auseinander. Aus der Wissenschaft heißt es immer dringlicher, dass wir die Grenzen des Planeten über-schreiten und unser Überleben gefährden. Ja, vielleicht fahren wir einen BMW. Aber ist die Welt damit wirklich in Ordnung?
Kann Deutschland Transformation?
Ich glaube, dass die Mentalität in Deutschland eher Sicherheitsdenken fördert als trans-formatives Denken. Hier in den USA sagt man, dass Innovationen, die aus Deutschland kommen, einfach nur bessere Bürokratie sind. Aber ich bin trotzdem optimistisch, denn wir Europäer sind oft profunder. Die Menschen in Deutschland und Europa sind zwar in der Regel nicht so offen wie die Menschen hier in den USA, aber wenn sie sich öffnen, dann sind sie besser in der Lage, in die Tiefe zu gehen. Wir können die Dinge tiefgründiger und profunder angehen, weil wir als Europäer viel hinter uns haben. Das gibt mir Hoffnung.
Der spannendste Transformationsprozess in Deutschland findet bei der Bayer AG statt. Der neue CEO Bill Andersen setzt auf das Arbeitsprinzip „Dynamic Shared Ownership“: Teams werden nicht mehr um den Chef gruppiert, sondern um Kunden. Die Teamplayer treffen ihre Entscheidungen selbstständig, die obersten Werte sind Neugierde und Kreativität. Ist Bayer auf dem Weg zu „Conscious Business“?
Ja. Ich würde sagen, dass jeder Prozess, der Menschen zu ihrer genuinen Kraft kommen lässt und diese Menschen daraufhin das Unternehmen verändern, ein Prozess auf dem Weg in ein neues Bewusstsein, also Conscious Business, ist.
Ist das DOS-Modell bei Bayer ein „Conscious Business“-Modell?
Wenn Bill Anderson es bei Bayer AG wirklich schafft, dass die Menschen mehr Ownership übernehmen und mehr Selbstbewusstsein, Kreativität und Innovationskraft aufbringen, dann wird sich in dem Unternehmen auch was verändern. Dann ist diese Transformation eine Bewegung in Richtung Conscious Business. Aber unter uns gesagt: Ich hab so viele Unter-nehmer beteuern hören, dass sie Kreativität fördern oder auf Ownership setzen. Aber die entscheidende Frage ist doch, wie man 150.000 Mitarbeiter dazu bekommt, mehr Ownership zu übernehmen?
Und wie schafft man das?
Ich weiß nicht, was alles hinter dem DOS-Modell steckt. Aber die Frage, die sich bei jedem Modell stellt, ist, ob es Messbarkeit und Skalierbarkeit ermöglicht? Im Fall von „Conscious Business“ stehen wir vor der Frage, ob es möglich ist, Consciousness im Business zu messen? Denn erst auf Grundlage dieser Messung kann ich beginnen, gezielt Programme zu entwickeln und eine Organisation systematisch auf eine andere Bewusstseinsebene zu heben.
(Die Grafik zeigt das Modell, nach dem Peter Matthies Organisationen betrachtet.)

Und wie erheben Sie die Daten zur Analyse der Bereiche?
Wir haben einen Fragenkatalog entwickelt, mit dem wir genau abfragen können, wo ein Unternehmen in diesen fünf Bereichen steht. Es sind 64 Fragen.
Aber führt das Sprechen über Transformation wirklich zu Transformation?
Aus meiner Sicht scheitern viele Prozesse daran, dass sie aus Lippenbekenntnissen bestehen. Man spricht die weisesten Worte, zitiert die schlauesten Köpfe, aber wenn's zur Sache geht, ist niemand da.
Das stimmt und ist ein entscheidender Punkt. Gespräche über Transformation bringen keine Transformation. Deshalb nutzen wir Hebel, um Transformationsprozesse in die Gänge zu bringen. Wir fragen zum Beispiel, woran die Menschen glauben? Oder ob es Gott gibt? Innerhalb von zwei Minuten entwickeln sich hochemotionale Gespräche, in denen sich die Menschen wirklich öffnen und ihre Emotionen zeigen. Ohne „Self-Leadership“ und die Fähigkeit, sich selbst in die Welt zu bringen – den ersten Bereich in unserem Modell – wird „Conscious Business“ schwierig.
Sie bringen die Gottesfrage? Ist das nicht zu privat?
Nein, wir machen das auf eine sehr interessante und spannende Art und Weise.
Wir haben ganz besondere Menschen, die diesen Prozess begleiten.
Psychologen?
Nein, wir bringen zum Beispiel "Psychics", die Readings machen.
Was sind "Psychics"?
"Psychics" sind Menschen, die über eine Verbindung zu einer höheren Kraft verfügen.
Sie sehen und sagen Sachen, die Sie umhauen. Ich hab das selbst erlebt. Seit über 20 Jahren arbeite ich mit meinem Mentor hier in Kalifornien zusammen. Er ist ein Psychic. Ich habe mich damals vor ihn hingesetzt, ohne ihn zu kennen. In drei Stunden erzählte er mir, wer ich bin, wer meine Familie ist und warum wir Konflikte haben. Ich dachte „Holy Cow“, was geht hier an? Diese Begegnung hat mein Leben verändert.
(Foto: „Psychic“, Erstellt mit DALL-E von OpenAIi)

Und was tun Sie, wenn jemand nichts von "Psychics" hält?
Natürlich kratzen sich einige am Kopf. Aber diese Intervention ist immer ein Hit,
weil sie uns dort trifft, wo auch Bewusstsein entsteht und ein Bewusstseinswandel möglich ist. Es gibt zwei Dinge, die aus meiner Sicht für „Conscious Business“ essentiell sind. Da ist zum einen der spirituelle Gedanke: Wir sind Seelen in einem menschlichen Körper. Und das bringt die zweite Sache ins Spiel, nämlich, dass es eine höhere Perspektive gibt. Dadurch kann ich zurücktreten und verstehen, dass es ein größeres Bild gibt. Ein Gedanke kann alles ver-ändern. Wie gesagt, wir können die neue Welt nicht aus unserer derzeitigen Welt sehen. Deshalb ist die spirituelle Intervention so wichtig.
Nennen Sie das auch offen eine spirituelle Intervention?
Nein, wir versuchen, das Wort Spiritualität zu vermeiden. Irgendwann kommt es von selbst hoch, aber es gibt einfach so viele Assoziationen mit diesem Begriff, dass wir vorsichtig mit ihm umgehen. Wir sprechen lieber davon, dass es eine höhere Führung gibt oder etwas, das höher ist als wir.
Das heißt, dass Sie Spiritualität nutzen, um Transformationsprozesse zu initiieren?
Ja. Was wir häufig machen, ist, gemeinsam mit Psychics Persönlichkeits-Assessments
für Führungskräfte durchzuführen. Ein Psychic, der hier in Kalifornien sitzt, führt auf Grundlage eines Bildes der Führungskraft ein Assessment durch. Die Ergebnisse sind
für die Führungs-kräfte so verblüffend, dass sie es oft nicht glauben können. Diese Erfahrung ist nötig, um zu den wichtigen Fragen zu kommen; Fragen wie die nach der Existenz einer höheren Kraft oder des wahren Grundes unseres Daseins. Sie kommen dann wirklich aus dem Herzen.
Ich denke, dass viele Menschen ihre spirituellen Erfahrungen eher im Privatleben machen als im Berufsleben. Glauben Sie, dass die Trennung zwischen Privat- und Arbeitsleben ein Hindernis ist, um Organisationen erfolgreich zu transformieren?
Ja, diese Trennung kann ein Hindernis sein. Aber auch bei spirituellen Interventionen ent-scheidet sich alles an der Frage, ob Sie es schaffen, eine Kontext-Konversation herzustellen, die alle Beteiligten führen wollen.
Was ist eine Kontext-Konversation?
Wir unterscheiden Content- von Kontext-Kommunikation. In einer klassischen Content-Konversation wird beispielsweise darüber gesprochen, ob der Blinker neu gemacht wird oder ob der Businessplan noch passt. In Kontext-Konversationen geht es um Fragen der Kultur; Fragen wie, wie man sich fühlt, was der gemeinsame Purpose ist oder wie man miteinander arbeiten will. Es geht um emotionale Themen, Gefühle und persönliche Befindlichkeiten. Damit tun sich viele Führungskräfte schwer. Sie wissen nicht, wie sie systematisch Kontext-Konversationen führen. Zur Unterscheidung zwischen Content- und Kontext-Kommunikation gibt es übrigens einen guten Spruch: „The right conversation in the wrong context is the wrong conversation.“
Wie lautet das wichtigste Learning aus Ihren 20 Jahren Beratung zu „Conscious Business“?
Das Wichtige ist, dass die Transformation oder das neue Bewusstsein von einer Führungs-kraft getragen wird. Eine Führungskraft muss die Stärke und das Rückgrat haben zu sagen, wofür wir stehen – auch und gerade wenn es mal holprig wird und die Menschen im Unternehmen unruhig werden.
Peter Matthies, vielen Dank für das Interview.